zwischenfakten über das aushalten anderer meinungen in der energiewende neulich auf dem rückweg ...
Neulich, auf dem Rückweg von
einer hervorragenden Veranstaltung zur Digitalisierung in der Windbranche in
Osnabrück, hatte mein Zug – natürlich – Verspätung. Also stand ich im Bahnhof
herum, schlenderte durch die Buchhandlung und blieb vor dem Zeitschriftenregal
stehen. Zwischen Wirtschaftsmagazinen und Reiseführern lag ein Heft mit dem
Titel „Klima- und Energiekomplex“ aus Tichys Einblick. Ich zögerte kurz. Was
war das genau? Ich blätterte hinein – und mir fiel wieder ein: Roland Tichy,
ein publizistischer Vertreter jener Denkrichtung, die Klimawandel relativiert
und die deutsche Energiewende für einen Irrweg hält.
Ich bin jemand, der seit Jahren
an dieser Energiewende mitarbeitet, sie kommunikativ begleitet und
Projektentwicklern hilft, Akzeptanz zu schaffen. Also fragte ich mich: Soll ich
mir dieses Magazin wirklich kaufen? Ich spürte einen inneren Widerstand – den
Impuls, mich nicht in diese Denk- und Sprachwelt zu begeben. Aber gleichzeitig
wusste ich: Wenn ich Kommunikation ernst nehme, dann muss ich auch jene Stimmen
lesen, die mir fremd sind.
Ich kaufte das Heft. Und auf dem
Weg nach Berlin las ich es fast komplett.
Natürlich fand ich darin vieles,
was meinen Überzeugungen widerspricht. Skepsis gegenüber Klimaforschung,
Untergangsrhetorik über die angebliche „grüne Ideologie“, die gewohnte Mischung
aus Spott, Zweifel und Abwehr. Doch je länger ich las, desto stärker wurde mir
bewusst: Auch das ist Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Diese Stimmen
existieren, sie prägen Debatten – und sie verschwinden nicht, nur weil wir sie
ignorieren.
Wir reden oft davon, dass
Demokratie vom Streit lebt. Aber Streit will gelernt sein. Die Grundregel
lautet: „Man hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf eigene
Fakten.“ Dieser Satz wird dem US-Senator Daniel Patrick Moynihan zugeschrieben –
und er bringt die entscheidende Spannung auf den Punkt. Meinungen sind Ausdruck
persönlicher Deutungen. Fakten hingegen sind die gemeinsame Basis, auf der ein
Diskurs überhaupt stattfinden kann. Wenn wir diese Basis verlieren, reden wir
nur noch über einander, nicht miteinander.
In der Energiewende-Kommunikation
begegnet mir dieses Phänomen ständig. Die Befürworterinnen und Befürworter
argumentieren aus dem Glauben an technische Vernunft: Klimaziele, CO₂-Bilanzen,
Effizienz. Die Kritikerinnen und Kritiker dagegen oft aus Emotionen heraus:
Angst vor Veränderung,
Misstrauen gegenüber
Institutionen, Verlustgefühle.
Beides sind reale, menschliche Reaktionen. Aber während wir Fachleute glauben, mit Fakten überzeugen zu können, verfehlen wir häufig das emotionale Fundament, auf
dem Meinungen überhaupt entstehen.
Das Aushalten anderer Sichtweisen
bedeutet nicht, sie zu übernehmen. Es bedeutet, sie auszuhalten, ohne sie
sofort zu verurteilen. Wer einem Windkraftgegner zuhört, ohne innerlich sofort
die Checkliste seiner Irrtümer abzuarbeiten, wird vielleicht entdecken, dass
dahinter oft keine Ablehnung von Klimaschutz steht, sondern ein Gefühl von
Kontrollverlust. Dass es nicht um die Windräder geht, sondern um Vertrauen.
Und Vertrauen entsteht nicht aus
Rechthaberei, sondern aus Beziehung.
Deshalb brauchen wir in der
Branche mehr Räume des gemeinsamen Nachdenkens. Nicht nur Informationsabende,
auf denen Fachleute referieren und Bürger fragen dürfen, sondern echte
Dialogräume: moderierte Prozesse, in denen unterschiedliche Perspektiven nebeneinander
stehen dürfen – ohne sofortige Bewertung. Kommunikation ist kein Nebenprodukt
von Projekten, sie ist Teil der Infrastruktur der Energiewende. Wer sie
gestaltet, gestaltet Akzeptanz.
Ich glaube, das ist die
eigentliche Herausforderung unserer Zeit: die Fähigkeit, Ambivalenz
auszuhalten. Zu akzeptieren, dass Demokratie kein Konsenssystem ist, sondern
ein Streitraum – einer, in dem wir uns aneinander reiben, ohne uns zu
zerreißen.
Als ich den Zug verließ, lag das
Heft zerlesen neben mir. Ich war nicht überzeugt von dem, was darin stand. Aber
ich war dankbar, es gelesen zu haben. Denn es erinnerte mich daran, dass
Kommunikation keine Komfortzone ist. Sie ist der Ort, an dem wir die Zumutungen
der Demokratie aushalten – und wachsen.
Michael Krieger ist Kommunikationsberater für Prozesse der Energiewende. Er begleitet Beteiligungsprozesse, moderiert Bürgerdialoge und entwickelt Strategien für akzeptanzorientierte Kommunikation. Mehr Informationen auf www.dialoge.digital
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