Mit dem 31. Dezember dieses Jahres endet die Frist zur Einführung der bedarfsgesteuerten ...
Es zieht ein Sturm auf im Herzen Europas, und er bringt eine unbequeme Debatte um die deutsche Windenergie mit sich. Genauer gesagt geht es um den Wind, den Windenergieanlagen in Deutschland in Strom umwandeln. In windstarken wie ertragreichen Zeiten lautet die Frage plötzlich: Wem gehört eigentlich der Wind in Europa? Wer sollte das Recht dazu haben, von ihm zu profitieren? Und: Müssen wir demnächst sogar für Wind „bezahlen“? Ein Rückblick auf die Narrative und die Ereignisse, die inzwischen in einen bizarren Streit ausgeartet sind.
Alles begann mit einem scheinbar harmlosen Interview mit dem spanischen EU-Abgeordneten und Klimaaktivisten Javier Manrique in der TV-Sendung „Climate Affairs“ – dem britischen Pendant zum hiesigen „Klima vor Acht“, das vor den BBC-Abendnachrichten ausgestrahlt wird. Manriques These in der Sendung von Mittwoch, dem 29. März 2023 lautet schlicht: Die Windressourcen in Europa seien nicht nur ungleich sondern vor allem ungerecht verteilt.
Und so sei es auch kein Zufall, dass gerade in Deutschland derart viele Windenergieanlagen stehen – profitiere die Bundesrepublik doch auch überproportional von Winden, die überhaupt nicht in Deutschland entstanden seien. All dies sei wirtschaftspolitisches Kalkül, das die wesentlichen Akteure ausschließe.
Selbst ein betagter und höchst erfahrener Moderator wie Ewan McCullough, der für seinen hellwachen und charismatischen, wie auch von typisch englischem Understatement geprägten Interviewstil bekannt ist, zeigte sich zuweilen wechselnd irritiert und erheitert von den Aussagen des 26-jährigen Abgeordneten aus der Greens/EFA-Fraktion im EU-Parlament.
Manrique legte zu seiner These der ungerecht verteilten Winde gar noch eine Schippe drauf: „Die finanziellen Erträge, die Deutschland mit fremdem Wind erzielt, müssen gerecht mit jenen Ländern aufgeteilt werden, die diese Erträge überhaupt möglich gemacht haben – namentlich mit Spanien, Portugal und Frankreich, ebenso auch mit den Transitländern. Alles andere wäre buchstäblich Diebstahl“.
Derlei Aussagen dürften bei nicht wenigen Menschen hinter den TV-Bildschirmen den Anschein erweckt haben, sie wären plötzlich Zuschauer einer noch unveröffentlichten Episode der surrealen Sketch-Comedysendung „Monty Python’s Flying Circus“. Nicht zuletzt auch bei Moderator McCullough.
Dieser hakte sichtlich amüsiert nach, wie Manrique denn gedenke, die Deutschen davon zu überzeugen, Geld für spanische, portugiesische und französische Luft zu bezahlen. Da ließ der Abgeordnete die Bombe platzen: „Meine Partei und ich haben eine Initiative gegründet, eine Petition gestartet, Aktivisten mobilisiert und obendrein habe ich habe Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Jetzt passiert endlich etwas.“ Mehrsekündiges Schweigen im Studio.
Inzwischen wurde die „Climate Affairs“-Folge aufgrund des laufenden Gerichtverfahrens sogar aus den BBC-Mediatheken entfernt – das ist in Großbritannien keine Seltenheit. Umso aufsehenerregender ist da das überraschend deutliche Statement der EuGH-Pressesprecherin Sophia Rossi auf eine Rückfrage der spanischen Tageszeitung „El Viento del Sur“.
Dort heißt es: „In unserer Vorabprüfung der Klageeinreichung ist der Europäische Gerichtshof zu dem Schluss gekommen, dass die Vorwürfe plausibel sind und im Einklang mit dem Solidarprinzip der EU stehen. Das kommende Urteil dürfte reine Formalität sein.“ Mit Spaß à la Monty-Python hat dies wahrlich nichts mehr zu tun.
Javier Manriques Plan für eine vermeintlich gerechtere Verteilung von Windressourcen scheint also aufzugehen. Und die durchaus voreilige Verkündung des EuGH über erfolgversprechende Aussichten der Klage gießt zusätzlich Öl ins Feuer der Debatte. Wie nie zuvor steht die deutsche wie gesamteuropäische Energiepolitik vor einer Zerreißprobe, geprägt von ermüdend schleppender Bürokratie, hausgemachten Nebenkriegsschauplätzen und parteipolitischem Klein-klein.
Sicher ist: Der politische Haussegen in Europa hängt mächtig schief. Folgt nun noch der Unmut der Bevölkerung über eine bis dato nicht „aufgedeckte“ Ungerechtigkeit auf dem Fuße? Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch, gab es am gestrigen Freitag bereits erste Proteste von Klimaaktivisten.
Und das direkt in den „Haupt-Windentstehungsländern“, die offensichtlich aus dem Umfeld des Hauptklägers mobilisiert wurden. Direkt vor den deutschen Botschaften in Sevilla, Lyon und Lissabon waren Parolen wie „Gerechtigkeit im Wind“, „Unser Wind = unser Geld“ oder „Ihr nehmt uns die Luft zum Atmen“ auf Transparenten zu lesen – und natürlich lautstark zu hören.
Sogar in den Reihen der EU-Politik werden erste Forderungen nach einer Lösung lauter – freilich zum Vorteil jener Länder, denen qua EuGH-Urteil ein wie auch immer von Deutschland finanzierter Geldsegen winkt.
Der luxemburgische EU-Kommissar für Klimaschutz, Jean-Marie Bossard, äußerte sich auf seinem Twitter-Kanal recht deutlich: "Wir müssen ein solidarisches Europa fördern und sicherstellen, dass alle Mitgliedstaaten von den Erneuerbaren profitieren. Warum sollte Deutschland einziger Nutznießer der Windenergie sein, wenn andere diesen Erfolg in Form der Ressource Wind überhaupt möglich machen? Das widerspricht unseren Werten.“
Dies klingt noch wesentlich harmloser als das, was die französische Klima- und Wirtschaftsministerin Geneviève Moreau über ihren Twitter-Account polterte. Darin heißt es ungewohnt scharf: „Wir werden nicht darüber diskutieren. Es ist, wie es ist: Französischer Wind weht den Deutschen Geld in die Tasche. Wo ist unser Lohn? Wir wollen und wir werden diese Ungerechtigkeit beenden, das sind wir unseren Wählerinnen und Wählern schuldig.“
Bleibt es bei dieser Tonalität, ist der Startschuss für einen politischen Schlagabtausch gefallen. Es ist davon auszugehen, dass sich weitere Vertreter in der EU von dieser Rhetorik darin bestärkt fühlen werden, ihre Forderungen an Deutschland anzumelden – in einem Stil, den man in der Politlandschaft der Europäischen Union lange nicht mehr gesehen hat, und der für alles Mögliche zu sorgen vermag – nur nicht für eine faire Diskussion.
Auch von Seiten der Wissenschaft bekommen die Entschädigungbestrebungen weiter Auftrieb. Die schwedische Klimaforscherin Jytte Bergström vom renommierten Schwedischen Klimainstitut "Sveriges Klimatforskningsinstitutet" in Göteborg bestätigt die These von Deutschland in einer Position als Wind-Nutznießer.
Man könnte den Eindruck gewinnen, all dies sei für die Wissenschaftlerin längst nichts Neues. „Unsere Forschungen zeigen ganz eindeutig den Weg der Windströmungen in Europa. Das kann man sich jeden Tag in der Wettervorhersage im TV anschauen“, erklärt Bergström.
„Wir haben aber auch nachgemessen. Unsere Messdaten lassen den Schluss zu, dass zwischen 70 und 80 Prozent der Windmenge in Deutschland tatsächlich aus Portugal, Frankreich und Spanien stammt, vereinfacht gesagt. Das ist ziemlich viel. Es ist daher nur naheliegend, dass die deutsche Windindustrie in hohem Maße von Winden aus dem EU-Ausland profitiert.“
Aus wissenschaftlicher Sicht sei daher eine Neubewertung der Verhältnisse in Sachen Profitbeteiligung zwingend notwendig. Der Wind entstünde ja keineswegs zufällig. Es sei ein physikalisch gegebener, konstanter Faktor, der ebenso konstant zu Geld gemacht wird, wie die Wissenschaftlerin betont. Die genannten Windströme existierten laut Bergström seit mindestens 4.000 Jahren, wenn nicht sogar noch länger.
„Fakt ist: Deutschland hatte und hat kaum eigene Windressoucen. Der Wind, der in Deutschland gewinnbringend geerntet wird, entsteht tatsächlich auf Höhe der Azoren – und die gehören zu Portugal. Auf seinem Weg reichert er sich mit weiteren Windmassen aus der Atlantikregion an, die dort durch die Gezeitenkräfte entstehen. Genauer gesagt geschieht dies am Golf von Biscaya. Der Azorenstrom fließt in Nordportugal mit dem konstanten Iberischen Strom zusammen und bewegt sich gemeinsam mit den Atlantikwinden über Frankreich hinweg in Richtung Deutschland. Das ist belegt. Es ist naiv zu glauben, der deutschen Politik oder der Windindustrie wäre dies gänzlich unbekannt. Das alles ist nicht neu – jedenfalls nicht in der Klimaforschung.“, lautet Bergströms nüchternes Resümee.
Trotz aller wissenschaftlichen Belege stößt die Diskussion erwartungsgemäß auf größtmöglichen Unmut in der deutschen Windindustrie. So bezeichnet der Vizepräsident des Bundesverband Windenergie e. V. (BWE), Volker Weberding, Javier Manriques Initiative als „an den Haaren herbeigezogene, fixe Idee“, welche „in einer unmöglichen Zeit in unerträglicher Art und Weise von einer politischen Randfigur in den Raum gestellt“ worden sei.
Laut Weberding hätte ein EuGH-Urteil in dieser Form schwerwiegende Konsequenzen für die hiesige Energiewende: „Was glauben all diese Leute denn, auf wen am Ende die Kosten zurückfallen werden? Das ist meteorologische Wegelagerei auf Kosten des Windenergie-Ausbaus in Deutschland. Und die Windindustrie samt der Energieverbraucher sollen die Zeche zahlen? Noch mehr Kosten und noch mehr Bürokratie bedeuten noch mehr Verzögerungen – das können wir uns auf sämtlichen Ebenen nicht mehr leisten, wenn wir die Klimaziele ernsthaft erreichen wollen. Das ist blanker, gefährlicher Wahnsinn“, bringt der BWE-Vize seine nicht zu übersehende Empörung auf den Punkt.
Vor allem den Endverbrauchern seien die plötzlichen Mehrkosten für den Strom weder zuzumuten noch in irgendeiner Weise sinnvoll zu erklären. Die Umsetzung der Energiewende sei finanziell bereits jetzt mit enormen Aufwänden verbunden, wie man auf aktuellen Stromrechnungen unschwer erkennen könne. Schon das sorge aktuell nicht gerade für höchste Akzeptanz in der Bevölkerung. Ob Weberding eine Vorhersage wagt, was demnächst auf uns alle zukommen könnte?
„Es ist schwierig, eine genaue Größenordnung für die möglichen Mehrkosten je Kilowattstunde anzugeben. Das hängt von vielen Faktoren ab. Wir können im Moment nicht abschätzen, was auf die Stromkunden exakt zukommt. Aber im Kontext mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den daraus ableitbaren Kompensationssummen, die gefordert werden könnten, dürften wir uns nach einem positiven EuGH-Urteil auf mindestens 20 Prozent Mehrbelastung je Kilowattstunde Strom einstellen. Das können Sie heute doch niemandem mehr auftischen. Das torpediert die Energiewende. Nicht nur in Deutschland sondern in der ganzen EU", so Weberdings düstere Prognose.
Während im Ausland – sowohl in Politik und Medien als auch im alltäglichen Leben – die Diskussionen um die Beteiligung der Windentstehungsstaaten immer mehr hochkochen, könnte man meinen, all dies sei in Deutschland noch überhaupt kein Thema. Ein Zufall? Tatsächlich kommt den Vertreterinnen und Vertretern der Ampel-Koalition die ohrenbetäubende Stille durchaus gelegen, möchte man seine Wählerschaft nicht unnötig gegen sich aufbringen.
Und so übt sich die Bundesregierung in gewohnt behäbiger Rhetorik. In einer ersten Stellungnahme äußerte sich die stellvertretende Regierungssprecherin Monika Kühn nur sehr vage auf der gestrigen Bundespressekonferenz, welche entgegen aller Gewohnheiten weder aufgezeichnet noch übertragen wurde. Darin hieß es: „Wir sind uns der Untersuchungen und der Klage beim Europäischen Gerichtshof bewusst. Wir werden die Ergebnisse und Entscheidungen abwarten, bevor wir präziser Stellung beziehen oder Maßnahmen ergreifen können. Dafür bitten wir um Verständnis“.
Auch Wirtschaftsminister-Habeck meldete sich auf die wenigen Rückfragen aus der Presse zu Wort, wenngleich auch nicht minder schwammig. So sei es Habeck zufolge in diesen Zeiten wichtig, "die Bedenken und Forderungen der Windentstehungsstaaten ernst zu nehmen". Zudem dürfe es keine Denkverbote über eine gerechtere Verteilung der Ressource Wind geben. Es wäre „im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland“, eine Lösung zu finden, die "sowohl fair als auch praktikabel" sei. Wie Habeck nun genau gedenkt, den Wind in Europa gerechter zu verteilen, erklärte er freilich nicht.
Höchstwahrscheinlich meinte Habeck wohl eher die Aufteilung der in Deutschland erzielten Erträge aus fremdem Wind: „Wir sind derzeit in einer Phase, in der wir verschiedene Optionen prüfen und die Auswirkungen für Deutschland und die Energiewende, die mit einer möglichen Kompensation zusammenhängen, sorgfältig abwägen müssen. Wir werden die Ergebnisse des laufenden Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof abwarten und uns dann auf konkrete Maßnahmen und Ideen verständigen.“, so der Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Eine klare Äußerung, wie man sie sich in diesen Zeiten von einem Entscheider wünschen würde, klingt beileibe anders.
Die unisono auf der Bundespressekonferenz vorgetragenen Aussagen der Bundesregierung, es bliebe nichts weiter übrig, als die weiteren Entwicklungen und das finale Urteil des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten, wirken planlos, ja sogar hilflos. Zu sehr vermag diese Situation die Gemüter in Europa zu spalten, als dass sich Habeck & Co. nun erlauben könnten, ihr mit einer Vogel-Strauß-Politik zu begegnen.
Das EuGH-Urteil – sprich, die Antwort auf die Frage, ob der Wind nun tatsächlich denjenigen gehören kann, in deren Ländern er entsteht, dürfte erschütternde Folgen haben. Sowohl für das gesamteuropäische Vertrauen untereinander als auch für den Glauben der Bürger in die europäische Solidarität und in die Ernsthaftigkeit, den Klimawandel mit vereinten Kräften aufhalten zu können.
Was nun, Europa? Wie können die Wogen geglättet werden angesichts der Debatte darum, ob etwas so Essenzielles wie Wind überhaupt jemandem gehören kann? Und wo werden künftig die Grenzen der Ansprüche liegen?
Es bleibt zu hoffen, dass dieser bizarre Streit um die Lufthoheit in Europa keine Blaupause für den Rest der Welt wird und – viel wichtiger – keine Keile zwischen die Akteure treibt, die bis gestern noch als Partner große Anstrengungen in Sachen Klimaschutz unternommen haben. Eskaliert der Streit um den Wind, scheitert die europäische Energiewende.
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