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Zwischenfakten: Über das Aushalten anderer Meinungen in der Energiewende

28.10.2025

Neulich, auf dem Rückweg von einer hervorragenden Veranstaltung zur Digitalisierung in der Windbranche in Osnabrück, hatte mein Zug – natürlich – Verspätung. Also stand ich im Bahnhof herum, schlenderte durch die Buchhandlung und blieb vor dem Zeitschriftenregal stehen. Zwischen Wirtschaftsmagazinen und Reiseführern lag ein Heft mit dem Titel „Klima- und Energiekomplex“ aus Tichys Einblick. Ich zögerte kurz. Was war das genau? Ich blätterte hinein – und mir fiel wieder ein: Roland Tichy, ein publizistischer Vertreter jener Denkrichtung, die Klimawandel relativiert und die deutsche Energiewende für einen Irrweg hält.

Ich bin jemand, der seit Jahren an dieser Energiewende mitarbeitet, sie kommunikativ begleitet und Projektentwicklern hilft, Akzeptanz zu schaffen. Also fragte ich mich: Soll ich mir dieses Magazin wirklich kaufen? Ich spürte einen inneren Widerstand – den Impuls, mich nicht in diese Denk- und Sprachwelt zu begeben. Aber gleichzeitig wusste ich: Wenn ich Kommunikation ernst nehme, dann muss ich auch jene Stimmen lesen, die mir fremd sind.

Ich kaufte das Heft. Und auf dem Weg nach Berlin las ich es fast komplett.

Natürlich fand ich darin vieles, was meinen Überzeugungen widerspricht. Skepsis gegenüber Klimaforschung, Untergangsrhetorik über die angebliche „grüne Ideologie“, die gewohnte Mischung aus Spott, Zweifel und Abwehr. Doch je länger ich las, desto stärker wurde mir bewusst: Auch das ist Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Diese Stimmen existieren, sie prägen Debatten – und sie verschwinden nicht, nur weil wir sie ignorieren.

Wir reden oft davon, dass Demokratie vom Streit lebt. Aber Streit will gelernt sein. Die Grundregel lautet: „Man hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten.“ Dieser Satz wird dem US-Senator Daniel Patrick Moynihan zugeschrieben – und er bringt die entscheidende Spannung auf den Punkt. Meinungen sind Ausdruck persönlicher Deutungen. Fakten hingegen sind die gemeinsame Basis, auf der ein Diskurs überhaupt stattfinden kann. Wenn wir diese Basis verlieren, reden wir nur noch über einander, nicht miteinander.

In der Energiewende-Kommunikation begegnet mir dieses Phänomen ständig. Die Befürworterinnen und Befürworter argumentieren aus dem Glauben an technische Vernunft: Klimaziele, CO₂-Bilanzen, Effizienz. Die Kritikerinnen und Kritiker dagegen oft aus Emotionen heraus: Angst vor Veränderung, Misstrauen gegenüber Institutionen, Verlustgefühle. Beides sind reale, menschliche Reaktionen. Aber während wir Fachleute glauben, mit Fakten überzeugen zu können, verfehlen wir häufig das emotionale Fundament, auf dem Meinungen überhaupt entstehen.

Das Aushalten anderer Sichtweisen bedeutet nicht, sie zu übernehmen. Es bedeutet, sie auszuhalten, ohne sie sofort zu verurteilen. Wer einem Windkraftgegner zuhört, ohne innerlich sofort die Checkliste seiner Irrtümer abzuarbeiten, wird vielleicht entdecken, dass dahinter oft keine Ablehnung von Klimaschutz steht, sondern ein Gefühl von Kontrollverlust. Dass es nicht um die Windräder geht, sondern um Vertrauen.

Und Vertrauen entsteht nicht aus Rechthaberei, sondern aus Beziehung.

Deshalb brauchen wir in der Branche mehr Räume des gemeinsamen Nachdenkens. Nicht nur Informationsabende, auf denen Fachleute referieren und Bürger fragen dürfen, sondern echte Dialogräume: moderierte Prozesse, in denen unterschiedliche Perspektiven nebeneinander stehen dürfen – ohne sofortige Bewertung. Kommunikation ist kein Nebenprodukt von Projekten, sie ist Teil der Infrastruktur der Energiewende. Wer sie gestaltet, gestaltet Akzeptanz.

Ich glaube, das ist die eigentliche Herausforderung unserer Zeit: die Fähigkeit, Ambivalenz auszuhalten. Zu akzeptieren, dass Demokratie kein Konsenssystem ist, sondern ein Streitraum – einer, in dem wir uns aneinander reiben, ohne uns zu zerreißen.

Als ich den Zug verließ, lag das Heft zerlesen neben mir. Ich war nicht überzeugt von dem, was darin stand. Aber ich war dankbar, es gelesen zu haben. Denn es erinnerte mich daran, dass Kommunikation keine Komfortzone ist. Sie ist der Ort, an dem wir die Zumutungen der Demokratie aushalten – und wachsen.

Michael Krieger ist Kommunikationsberater für Prozesse der Energiewende. Er begleitet Beteiligungsprozesse, moderiert Bürgerdialoge und entwickelt Strategien für akzeptanzorientierte Kommunikation. Mehr Informationen auf www.dialoge.digital